Vor 25 Jahren triumphiert Thomas Hellriegel als erster Deutscher beim Ironman auf Hawaii
„Als Legende empfinde ich mich nicht“
Bruchsal. Zweimal hatte er den Sieg schon zum Greifen nah. Doch nach 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometern auf dem Rad sowie rund 40 Kilometer Laufen in Führung liegend, wurde Thomas Hellriegel jeweils keine zwei Kilometer vor dem Zielstrich noch abgefangen. Beim dritten Anlauf hat es dann endlich geklappt: Am 18. Oktober 1997 gewann der Mann aus Büchenau bei Bruchsal als erster Deutscher den legendären Ironman Hawaii. Unser Mitarbeiter Frank Ketterer bat den heute 51-Jährigen zum Jubiläums-Interview.
Herr Hellriegel, was können Sie mit dem Begriff „lebende Triathlonlegende“ anfangen?
Hellriegel: Oh je! Also dass ich noch lebe, ist schon mal ganz gut. Als Legende empfinde ich mich aber definitiv nicht. So etwas von sich selbst zu behaupten, ist ja auch schwierig. Es über andere zu sagen, fällt jedenfalls viel leichter.
Als was würden Sie sich bezeichnen?
Hellriegel: Als Ex-Triathlonprofi, der nicht ganz unerfolgreich war.
Nun ja, ein bisschen mehr war es wohl schon. Sie haben vor 25 Jahren, schließlich als erster Deutscher den Ironman Hawaii gewonnen. Damit haben Sie sich zumindest einen Eintrag in die Triathlon-Geschichtsbücher gesichert.
Hellriegel: Mag sein. Aber die Deutschen waren auch in den Jahren zuvor schon ziemlich stark auf Hawaii, so dass es mehr oder weniger eine Frage der Zeit war, bis einer gewinnen würde – und zum Schluss hat es dann ja auch der Richtige geschafft. (lacht) Aber deswegen bin ich doch nicht gleich eine Legende, sondern nach wie vor der Junge aus dem Dorf, der einen großen Wettkampf gewonnen hat. Das reicht. Die Geschichte ist auch so verrückt genug.
Was von dieser Geschichte hat sich am tiefsten in Ihr Gedächtnis gebrannt?
Hellriegel: Die letzten Kilometer beim Laufen. Da ich in den beiden Vorjahren ja jeweils als Führender noch kurz vor dem Ziel einkassiert wurde, war ich mir trotz meines erneut komfortablen Vorsprungs bis zum Schluss nicht sicher, ob es diesmal reichen würde. Ich war sehr, sehr angespannt und habe fast schon darauf gewartet, dass wieder etwas passiert, dass ich einen Krampf kriege und nicht mehr weiterlaufen kann oder so. Erst als ich zurück auf dem Alii Drive war und das Ziel am Pier quasi schon in Reichweite lag, war diese Angst weg. Auch daran kann ich mich noch gut erinnern: Wie auf den letzten Metern aus all den Zweifeln die Sicherheit wurde, dass ich es tatsächlich schaffen und gewinnen würde. Das war ein unglaubliches Gefühl.
1995 hatten Sie nach dem Radfahren rund 13 Minuten Vorsprung vor Mark Allen, ein Jahr später waren es rund dreieinhalb Minuten auf den Belgier Luc van Lierde. Beide Male wurden Sie rund einen Kilometer vor dem Ziel, jeweils fast an der gleichen Stelle, noch abgefangen. Wie sehr haben diese bitteren Niederlagen Sie angetrieben?
HellriegelMit dem Rennverlauf 1995 war ich sehr zufrieden, schon weil es meine erste Teilnahme auf Hawaii war und lediglich Mark Allen, der als sechsfacher Hawaii-Sieger wirklich eine Triathlon-Legende ist, schneller war als ich. Dieses Rennen hat mir gezeigt, dass ich mit den extremen Bedingungen auf Hawaii zurechtkomme und dass ich da schnell sein kann. Ab da war klar, dass ich das Ding prinzipiell gewinnen kann, zumal ich ja erst 24 Jahre alt war. Umso schmerzlicher war, dass ich im Jahr darauf wieder nur Zweiter geworden bin, obwohl ich ein Super-Rennen abgeliefert habe, vielleicht mein bestes überhaupt. Das hat mich extrem gewurmt – und extrem angestachelt. Es hat mich angetrieben, auch noch das Letzte aus mir rauszuholen. Es waren ja nur zwei Minuten, die mir zum Sieg gefehlt hatten. Die mussten doch irgendwo rauszuquetschen sein.
Bei ihrem Sieg ein Jahr später sind Sie mit einem Körperfettanteil von unter sechs Prozent ins Rennen gegangen. Wie sehr war Ihnen klar, dass das eine Gratwanderung ist?
Hellriegel: Das war mir schon bewusst. Und es hat sich ja auch im Folgejahr niedergeschlagen. Da war ich schon im Winter so dünn, dass ich keinerlei Reserven für den Sommer aufbauen konnte. Da hatte ich wortwörtlich eine Grenze erreicht und wohl auch – zumindest zum Teil – überschritten.
Wie lange hätten Sie wohl noch so weitermachen können?
Hellriegel: Wenn es 1997 nicht mit dem Sieg geklappt hätte, wäre es wohl schwierig geworden. Schließlich hatte ich in der Vorbereitung alles versucht, was ich machen konnte, um erfolgreich zu sein. Mehr ging nicht. Zumal man das in letzter Konsequenz nicht über Jahre hinweg praktizieren kann. Da macht dann irgendwann der Körper nicht mehr mit – und die Psyche ebenso.
Wobei Sie schon zuvor als Trainingsweltmeister galten, dessen Trainingsumfänge selbst die Konkurrenten staunen ließ. Wie blicken Sie unter trainingswissenschaftlichen Aspekten heute darauf zurück?
HellriegelIch würde gar nicht so viel anders machen. Klar könnte man mit dem wissenschaftlichen Know-how von heute das ein oder andere verbessern, aber im Prinzip war es schon gut so, wie wir trainiert haben. Wenn du wirklich besser sein willst als die anderen, musst du schon auch außergewöhnliche Dinge im Training machen, eben um diesen Ticken besser zu sein. Vielleicht sind die Umfänge heutzutage etwas geringer, dafür trainiert ein Teil der Athleten fast das ganze Jahr in der Höhe. Das gab es zu unserer Zeit in dieser Form nicht.
Ihr Rekord liegt bei 56 Stunden Training in einer Woche, davon 54 auf dem Rad. War das so ein außergewöhnliches Ding?
HellriegelDas war während eines Trainingslagers im Frühjahr auf Teneriffa. Wir haben da in einer Woche 1.400 Radkilometer mit 35.000 Höhenmetern gemacht. Aber das war eher eine Sache für den Kopf. Für die Physis war es wohl weniger sinnvoll. Im Prinzip ging es darum, sich selbst zu beweisen, dass man schaffen kann, was man schaffen will. Egal ob du müde bist und nicht mehr kannst – es geht weiter. Aufgeben gibt es nicht. Auch das kann man trainieren.
Sie selbst haben Ihr Leben damals einmal als „mönchisch“ bezeichnet. Was haben Sie mit dieser Aussage genau gemeint?
Hellriegel: Dass man dem Sport alles unterordnet. So wie ein Mönch morgens und abends betet, habe ich morgens und abends an Hawaii gedacht – und in der Zeit dazwischen habe ich trainiert. Viel mehr war da nicht.
Wie hat der Sieg Ihr Leben verändert?
Hellriegel: Was die Aufmerksamkeit anbelangt, war das schon ein riesiger Umschwung. Ich war im Aktuellen Sportstudio und wurde bei der Sportler-des-Jahres-Wahl hinter Jan Ullrich und Lars Riedel auf Rang drei gewählt. Für einen Triathleten war das damals schon etwas ganz besonderes.
Wie hat sich der Triathlon seitdem verändert?
Hellriegel: Er ist professioneller geworden, schon wegen der erhöhten Fernsehpräsenz. Und es ist mehr Geld im Spiel.
Was können die Jungs von heute, was Sie und Ihre Weggefährten noch nicht konnten?
Hellriegel: Alles in allem sind die Leistungen meiner Meinung nach vergleichbar, obwohl es heute sowohl Laufschuhe als auch Fahrräder aus Carbon gibt. Das Niveau ist also durchaus ähnlich, aber die Spitze ist viel, viel dichter. Es gibt einfach mehr gute und gut ausgebildete Jungs, die alle drei Sportarten gut beherrschen. Wir waren damals meist Quereinsteiger.
Warum tun Menschen sich eine solche Tortur überhaupt an?
Hellriegel: Weil es in ihrer Natur liegt. Es ist ihre Gier, etwas zu leisten, was kein anderer leistet. Und es ist ihre Neugier und ihr Ehrgeiz, zu sehen, wie weit sie dabei gehen können.
Ist es nicht auch ein bisschen verrückt?
Hellriegel: Ich war in den letzten Jahren ja auch ein paar Mal als ganz normaler Zuschauer auf Hawaii. Als ich da die Athleten durch die Hitze habe rennen und Radfahren sehen, habe ich nur gedacht: Das ist doch verrückt. Warum machen die das? Früher habe ich mich das nie gefragt. Da war das einfach meine Herausforderung.
Das klingt nicht so, als würden Sie unbedingt noch einmal auf Hawaii starten wollen…
Hellriegel: Ursprünglich hatte ich mal auf dem Plan, mit um die 50 mal bei den Agegroupern zu starten, um den Jungs zu zeigen, was man im Alter noch leisten kann. Aber im Moment ist das eher kein Thema.